Das stille Jahr
von Bertram Graf v. Quadt
Es gibt keinen Lebensbereich, in dem man nicht spürte, dass dieses Jahr anders ist. Ein Virus lähmt das Leben – sagen die einen. Die anderen sagen, dass der politische Umgang damit das Leben lähmte. Beides stimmt aus der Sicht des Autoren. Aber die Ursache ist angesichts der Wirkung letztlich sekundär.
Eigentlich sollte ich längst die Hunde hören. Oder die Treiber. Oder zumindest Schüsse. Wild war noch keines da. Die Waffe liegt ungenutzt auf der Kanzelbrüstung. Seit zwei Stunden bin ich auf diesem Stand, und auch wenn er nicht grade wie der allerbeste aussah: so leer, so still war noch keine Drückjagd, seit Jahren nicht. Und dann fällt mir ein: es ist keine Drückjagd. Und es wird dieses Jahr für mich auch keine Drückjagden geben. Ich bin auf dem Ansitz. Mehr bleibt mir nicht für dieses Jahr. Wir schreiben Anfang November 2020.
Die Freunde und Verwandten, die mich sonst alljährlich einladen, haben alle Jagden abgesagt, oder sie halten sie im kleinsten Rahmen nur mit Schützen aus der direkten Umgebung ab: „Wir könnten uns ja nicht einmal zum Schüsseltreiben treffen, und logistisch ist das alles eh ein Albtraum. So kann man keine Gesellschaftsjagd machen.“ (weiterlesen)


