Deutsche Wolfspolitik: „Ein sehr großes Experiment"
Während schon der vom Land genehmigte Schnell-Abschuss eines einzigen auffällig gewordenen Wolfes vor Gericht scheitert, denken Heidekreis-Landrat Jens Grote und zehn seiner Amtskollegen aus anderen niedersächsischen Kommunen mit hohen Wolfsbeständen bereits weiter. Vehement fordern sie die Regulierung der streng geschützten Art durch reguläre Bejagung und erhalten dafür Rückendeckung vom grünen Landesumweltminister Christian Meyer und dem Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages, Hubert Meyer.
In einer in Uelzen verfassten gemeinsamen Erklärung beziehen die Landräte ungewöhnlich deutlich politisch Stellung und schrecken auch vor drastischen Formulierungen nicht zurück. Der Wolf wird als eine „früher gefährdete Art“ beschrieben, für deren aktive Bejagung inzwischen „dringender Handlungsbedarf“ bestehe. Die Rede ist von „tagsüber durch die Straßen“ laufenden Wölfen und Sichtungen „direkt hinter Kindergärten“. Der grünen Bundesumweltministerin Steffi Lemke wird in dem Papier „völliges Unverständnis“ entgegengebracht, da sie „die Herabstufung des Schutzstatus des Wolfes auf europäischer Ebene blockiert“.
Der Brandbrief der Landräte erntet nicht nur Zustimmung. „Mit Sorge verfolgen wir die Polarisierung und Emotionalisierung, die nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern auch im öffentlichen Diskurs immer mehr Raum einnimmt und zur Verbreitung von irrationalen Ängsten, verzerrten Darstellungen und falschen Behauptungen führt“, erklärt etwa die Sprecherin des Naturschutzbundes im Heidekreis, Dr. Antje Oldenburg. Die deutsche und europäische Wolfspolitik ist kompliziert und nicht widerspruchsfrei. Im aufziehenden Europawahlkampf dürfte das Thema gerade im ländlichen Raum eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.
Klaus Hackländer, Professor für Wildtierbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtierstiftung, ist einer der besten Kenner der Materie. Im Gespräch mit der Böhme-Zeitung plädiert er für ein aktives Wolfsmanagement und warnt vor gefährlichen Illusionen. Beim Wolf allein auf die Selbstregulierung der Natur zu setzen, sei für von Menschen überprägte Kulturlandschaften keine Option.
Niedersachsens Umweltminister und eine große Zahl von Landräten bescheinigen dem Wolf einen günstigen Erhaltungszustand. Das würde erlauben, den Schutz der Art zu lockern. Wie bewerten Sie das aus wildbiologischer Sicht?
Professor Klaus Hackländer: Der „günstige Erhaltungszustand“ stammt nicht aus der Biologie. Es ist ein Rechtsbegriff aus der europäischen FFH-Richtlinie. Wissenschaftler mussten erst einmal überlegen, was damit gemeint sein könnte. Es geht um die Bewertung des Risikos einer vorhandenen Art, auszusterben. (weiterlesen)


